Ein Bayer im südamerikanischen Corona-Hotspot

2024-03-26T10:26:59+01:004. Mai 2021|

Rainer Jonda, der frühere Schulleiter des König-Karlmann-Gymnasiums, berichtet vom Leben in Brasilien

Altötting/Guarabira. Rainer Jonda hat sein Leben in den Dienst der Kinder und Jugendlichen gestellt. Jahrzehntelang war der Pädagoge im Gymnasialdienst, die letzten neun Jahre davon als Schulleiter am König-Karlmann-Gymnasium. 2011 wurde er, damals 63-jährig, in den Ruhestand verabschiedet. Nun kümmert er sich nicht mehr um Heranwachsende in Bayern, sondern in Brasilien. Dort unterstützt er, auch immer gesponsort von der Leitung und den Schülerinnen und Schülern seiner letzten Wirkungsstätte, zwei Organisationen: das Straßenkinderprojekt „Ruas e Praças“ in der Millionenstadt Recife und das Kinderdorf Guarabira von Pater Gerd Brandstetter. Dort hält er sich momentan auf und berichtet vom Leben in einem Land, das als Corona-Hotspot Südamerikas gilt, das von der Pandemie ganz besonders hart getroffen wurde – insbesondere auch wegen der irrlichternden Politik seines populistischen Präsidenten Jair Bolsonaro.

Rainer Jonda mit seiner Lebensgefährtin Adriana auf dem Höhenrücken um Guarabira (linkes Bild) und bei der Injektion der zweiten Coronavac-Impfdosis am 20. April. – Fotos: privat

Er lebt mit Lebensgefährtin und Sohn in Guarabira

Jonda ist seit Anfang März in Guarabira im Nordosten Brasiliens bei seiner Familie. Seine Frau Lydia starb in den Nullerjahren,, mit seiner Lebensgefährtin Adriana Trajano hat er einen achtjährigen Sohn, Carlos, der die 3. Klasse einer privaten Grundschule besucht. „Wenn uns Corona keinen Strich durch die Rechnung macht, wollen wir Mitte Juni gemeinsam nach Deutschland reisen“, schreibt er auf Anfrage der Heimatzeitung.

Sohn und Lebensgefährtin wollen zwei Monate bleiben und dann wieder nach Brasilien zurückkehren, er selbst plant dies für Ende des Jahres.
Der Pensionär erhielt am 20. April seine zweite Impfung mit dem chinesisch-brasilianischen Impfstoff Coronavac. „Die Coronapolitik Bolsonaros ist ein Paradebeispiel der Irrungen und Wirrungen“, urteilt der frühere KKG-Chef. Der Präsident habe die Pandemie lange als „kleine Grippe“ abgetan, wissenschaftliche Erkenntnisse negiert. Staatliche Maßnahmen erfolgen zögerlich, dementsprechend „exorbitant hoch“ sei auch die Zahl der Infizierten und der Todesfälle.
Aktuell trägt Bolsonaro bei öffentlichen Auftritten zwar eine Maske, doch eine verlässliche, beständige Anti-Corona-Politik von Seiten des Staatspräsidenten existiere nicht. Mittlerweile wurde ein Untersuchungsausschuss eingesetzt, um zu prüfen, ob Bolsonaro mit seiner Untätigkeit gegen Verfassungsprinzipien verstoßen hat.
Der Gouverneur Paraibas, João Azevêdo, sei, wie die meisten Gouverneure Brasiliens, kein Freund Bolsonaros. Er habe in Paraiba mehrmals einen harten Lockdown verordnet, zuletzt in der Osterwoche, was zu einer deutlichen Reduktion der Zahlen der Infizierten und Toten in Paraiba geführt habe, das inzwischen zu den „erfolgreichen Bundesstaaten“ im Kampf gegen die Pandemie gehöre. In anderen Regionen seien die Gesundheitssysteme stark belastet, teils überlastet.
Große Unterschiede zwischen Bayern und Brasilien im Leben während der Pandemie kann Rainer Jonda nicht erkennen: Maske tragen in Ämtern und Geschäften, aber auch auf der Straße, ist Pflicht: „Die allermeisten halten sich auch daran.“ Begrüßungsküsschen gebe es nicht mehr, dafür werde auch mit Faust oder Ellbogen angestoßen. Die Geschäfte haben reduzierte Öffnungszeiten, die Restaurants sind jetzt wieder geöffnet, auf eine Sitzordnung mit entsprechenden Abständen wird sehr geachtet. In Paraiba sind die Strände derzeit gesperrt, man darf am Strand spazieren gehen, ein Bade- oder Freizeitbetrieb ist aber untersagt. Die Polizei kontrolliert regelmäßig.
Die Schulen sind teils geschlossen, besonders die öffentlichen; an Privatschulen wird teilweise wieder Präsenzunterricht erteilt. Die Sicherheitsvorkehrungen seiend streng: verschiedene Eingänge für die Jahrgangsstufen, Eltern dürfen nicht aufs Schulgelände, Kinder tragen auch im Unterricht Masken, für Kinder, die zu Hause bleiben wollen oder müssen, gibt es eine Online-Zusammenfassung des Wochenstoffes im Schulportal.
Seit gut zehn Jahren unterstützt Jonda schon das Kinderdorf in Guarabira und das Straßenkinderprojekt „Ruas e Praças“ in Recife. Den rund 40 Buben und Mädchen im Kinderdorf gehe es gut, sie wohnen in fünf Jugendhäusern zusammen mit ihren Sozialeltern, seien gut versorgt und könnten sich auf dem Gelände des Kinderdorfes frei bewegen. Allerdings sei es nur in Ausnahmefällen möglich, das Kinderdorf zu verlassen, das Einschleppen der Covid-Infektion soll unbedingt verhindert werden. Bisher habe es noch keine größeren Ausbrüche im Kinderdorf gegeben, sondern nur wenige Einzelfälle. Den Kindern vom Straßenkinderprojekt in Recife geht es seiner Einschätzung nach deutlich schlechter: „Sie wohnen nicht in einem geschützten Raum mit einer Betreuung rund um die Uhr und sind natürlich der Covid-Gefahr viel stärker ausgesetzt.“ Die Erzieher, Straßenarbeiter und Freiwilligen der Gruppe „Ruas e Praças“ verfügten nur über sehr begrenzte finanzielle Mittel, die bei weitem nicht ausreichen, um für die Straßenkinder eine Grundversorgung mit Lebensmitteln sicher zu stellen. Auch brächen durch die allgemeinen Kontaktbeschränkungen viele kleine Verdienstmöglichkeiten für die Jugendlichen weg.
Die Versorgung der Bevölkerung im Allgemeinen sei gesichert, Straßenmärkte, Supermercados, Geschäfte der Grundversorgung, Apotheken seien geöffnet. Aber viele Kleinhändler und Selbständige und deren Familien hätten, bedingt durch Lockdowns und Anticorona-Maßnahmen, kein Einkommen mehr: „Die extreme Armut hat sich in einem Jahr fast verdreifacht. Man schätzt, dass jetzt bis zu 30 Millionen Menschen mit einem Monatseinkommen von weniger als 50 Euro pro Kopf auskommen müssen.“ Es gebe zwar Hilfsangebote, doch vor allem für die Armen reiche das nicht.
Staatliche Einschränkungen seien von Bundesstaat zu Bundesstaat unterschiedlich, auch die Städte und Gemeinden können in gewissem Umfang Sonderregelungen treffen. Die meisten Menschen ertrügen die Einschränkungen stoisch, aber je größer die Armut und Bewohnerdichte in einem Viertel ist, desto eher werde gegen die Regeln verstoßen.
Was das Gesundheitssystem anbelangt, so habe jeder Bürger – wenigstens vom Prinzip her – Anspruch auf kostenlose Behandlung im steuerfinanzierten öffentlichen Gesundheitssystem, schildert Rainer Jonda. Parallel dazu gibt es ein privates Gesundheitssystem, das effektiver, moderner und spezialisierter sei, aber vom Patienten selbst bezahlt werden muss. In der gegenwärtigen Pandemie zeigten sich die grundsätzlichen Mängel des Gesundheitssystems überdeutlich. In einigen Bundesstaaten seien die Intensivstationen bis zum letzten Bett belegt, neue Patienten würden abgewiesen und auf eine Warteliste gesetzt. Ein anderes Problem sei das Fehlen von Sauerstoff in Krankenhäusern. Der Nachschub an Sauerstoffflaschen habe in einigen Regionen nicht rechtzeitig beschafft werden können, eine Katastrophe für schwerkranke Patienten. Die Ärzte und das Pflegepersonal arbeiteten an der Grenze ihrer physischen und psychischen Möglichkeiten, „so wie in Deutschland auch, hier aber noch unter verschärften Bedingungen“.

Im Juni kommt die ganze Familie nach Bayern

Einigermaßen gut laufe die Impfkampagne, urteilte Jonda in seiner Mail an die Heimatzeitung Anfang der Woche. Wie in Deutschland werde priorisiert, die über 70-Jährigen seien schon durchgeimpft. Rund 15 Prozent der Bevölkerung hätten zumindest schon eine Dosis. Die Impfbereitschaft sei hoch, vor den Impfzentren bilden sich lange Schlangen. Auch „Drive thru“ wird praktiziert, das Vakzin wird bei geöffnetem Autofenster injiziert. Gestern allerdings hieß es in Berichten des internationalen Rundfunks, dass die Impfstofflieferungen stockten.
Abschließend schreibt Rainer Jona: „Ich freue mich immer, wenn ich von Brasilien nach Bayern komme. Ich weiß die Lebensqualität in Bayern schon sehr zu schätzen. Genauso freue ich mich, wenn ich nach Brasilien komme und wieder bei meiner Familie sein kann. Beides ist sehr schön. Für Juni hoffe ich, dass sich die Pandemielage in Bayern und im Landkreis Altötting deutlich entspannt, so dass wir in Deutschland einige angenehme Wochen verbringen können.“ – ecs
ANA vom 01.05.2021

Der pensionierte KKG-Chef Rainer Jonda im Bild zusammen mit seiner Lebensgefährtin Adriana Trajano, Sohn Carlos und Pater Gerd Brandstetter, dessen Kinderdorf Guarabira er seit den Nullerjahren unterstützt.

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